Plädoyer von Anna Gallina für ein Ende des "Familiendramas"

Das Drama heißt Femizid

Alle zwei bis drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Sogar täglich versucht ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Und jeden Tag werden 380 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt, darunter 316 Frauen. Diese Zahlen des Bundeskriminalamtes hat Bundesfrauenministerin Franziska Giffey anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen vorgestellt.

Tötet ein Mann seine Ex-Partnerin und womöglich auch noch die Kinder, wie jüngst in Jena oder im Frühjahr bei uns in Hamburg auf dem Bahnsteig am Jungfernstieg, dann erschüttert uns das. Auch mich. Wir nehmen Anteil und fragen uns: Wie konnte es nur so weit kommen? Was war da wohl los? Oft ist dann in der medialen Debatte die Rede vom „Familiendrama“. Doch dieser Begriff ist falsch und irreführend. Er verharmlost die Tat, als sei zu Hause einfach etwas aus dem Ruder gelaufen und dann hat der Mann eben überreagiert. Und es wird der Eindruck erweckt, die Tat ginge nur die Familie an, nach dem Motto: Was hinter verschlossenen Türen passiert, ist privat. Beides ist falsch.

Warum sagen wir nicht, was es ist? Mord, manchmal auch Totschlag. So sollten wir es auch nennen. Durch den Begriff Familiendrama wird die Schuld vom Täter weg gelenkt und – zumindest in Teilen – auf das Opfer übertragen. Immer wieder lesen wir Sätze wie: „Durch verletzte Gefühle kam es zu der Tat“ oder „Es war eine Verzweiflungstat nachdem seine Frau ihn verlassen hatte“. Mit dem Versuch, einen Mord oder Totschlag als „Beziehungstat“ zu erklären, wird die Tötung implizit als ‚natürliche‘ Reaktion auf eine Kränkung oder Handlung durch die Frau dargestellt und ihr damit eine Mitschuld am eigenen Tod gegeben. Zu einer Beziehung gehören ja schließlich immer zwei, oder?

Auch in Deutschland sterben Frauen, weil sie Frauen sind.

Morde an Frauen sind keine natürliche Reaktion darauf, dass etwas schief gelaufen ist. Und Morde an Frauen lösen in der Regel keine großen Debatten aus, es sei denn, der Täter hat einen Migrationshintergrund, wie am Jungfernstieg. Dazu aber gleich vorweg: Mehr als zwei Drittel der Täter sind deutsche Staatsangehörige. Gewalt gegen Frauen und Tötungsdelikte gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten. Das Problem ist nicht „eingewandert“ oder auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt. Im Gegenteil: Häusliche Gewalt findet überall statt, es wird nur nicht darüber geredet. Erst wenn es zum Äußersten kommt, lässt sich das, was vorher hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat, nicht länger verbergen.

Was hinter diesen Taten steht, ist trivial: Es geht um Macht. Insbesondere in Trennungsphasen, also wenn der Mann den Einfluss auf seine bisherige Partnerin verliert. Nicht selten werden in diesem Kontext auch die Kinder getötet, um der Frau maximales Leid zuzufügen.

Frauen, die mehr Geld verdienen als ihre Männer, sind deutlich häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Frau soll klein gemacht werden, wenn die patriarchalen Ordnung ins Wanken gerät. Männer töten Frauen, weil sie Frauen sind. Teilweise geht diesen Tötungsdelikten bereits eine gewaltvolle Beziehung voraus. Es gibt jedoch keine statistischen Belege dafür, dass die Tötung automatisch die letzte Stufe der Gewalt in der Beziehung darstellt. Ob mit oder ohne Gewalt im Vorfeld, diese Männer töten, weil sie der Meinung sind, dass ihre Partnerin oder Ex-Partnerin ihnen gehört und kein Recht auf eine eigenständige Existenz hat. In dem wir über „Familientragödien“, „Familiendramen“ oder „Beziehungstaten“ reden und schreiben, laden wir das Problem des Sexismus und der Frauenverachtung wieder bei den Frauen (und ihren Kindern) ab.

Dabei gibt es einen Begriff für diese Morde, er lautet Femizid! Dieses Wort bringt zum Ausdruck, dass diese Morde eine politische Dimension haben. Jetzt kann man natürlich einwenden, dass dieser Begriff die Ermordung von Kindern nicht abbildet und da ist auch etwas dran. Doch möglicherweise ist der Begriff erweiterter Femizid etwas, womit wir als Gesellschaft der Sache näher kommen können. Die getöteten Kinder erfahren die gleiche Entwertung und Entrechtung wie ihre getöteten Mütter.

Nicht privat sondern politisch – Wir müssen etwas tun!

Lange haben wir in Deutschland Gewalt in der Ehe, in der Familie und in der Beziehung als Privatsache verstanden. Lange hat es gedauert, bis eine Vergewaltigung der Ehefrau unter Strafe gestellt und das Schlagen der eigenen Kindern verboten wurde und wir ein Gewaltschutzgesetz erstritten haben. Doch trotz Gewaltschutzgesetz, trotz Nein-heißt-Nein als neuem Grundsatz des Sexualstrafrechts, schützen wir Frauen und Kinder nicht effektiv vor Gewalt! Trotz all der guten Entwicklungen bleibt doch die Verantwortung für das eigene Überleben bei den Opfern. Frauen können mit ihren Kindern Schutz in einem Frauenhaus suchen. Allerdings werden um die 13.000 Frauen jährlich abgewiesen, weil unsere Frauenhäuser belegt sind. Wer es sich leisten kann, die Kraft und die Möglichkeiten hat, kann untertauchen.

Was tun wir hier als Gesellschaft eigentlich? Die wertvolle und überlebenswichtige Arbeit der Frauenhäuser findet auch im Jahr 2018 bundesweit nicht die Anerkennung und vor allem die Ausstattung, die eigentlich erforderlich wäre. Schutzräume sind gut und wichtig, dennoch sind es die Opfer, die ihr Leben verlassen müssen. Ihnen bürden wir auf, ihren Schutz selbst zu organisieren, ihre Sozialräume und Freundeskreise und die ihrer Kinder aufzugeben.

Selbst bei Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes ist es so, dass erst in dem Moment eine Handlung seitens des Staates ausgelöst wird, wenn der Täter die Grenze bereits überschritten hat; sei es bei einem Annäherungsverbot oder Wegweisungsgebot. Gegebenenfalls stellt sogar ein Gericht fest, dass eine Bedrohungslage vorliegt. Doch der Bedrohung selbst können sich die Sicherheitsbehörden allein schon aus Ressourcengründen erst in dem Moment widmen, in dem das Opfer erneut in Gefahr ist, also der Täter ihm wieder auflauert. Dann kann es aber bereits zu spät sein.

Und was tun wir, um weiteren Schaden von Frauen und Kindern abzuwenden? Wo ist der Ausgleich für das erlittene Leid? Für die verpassten Chancen? Hier gibt es eine Schieflage. Ich habe kein Patentrezept um sie zu beseitigen. Dafür bedarf es vieler Maßnahmen sowohl präventiv als auch kurativ, Prozesse und gesellschaftlicher Debatten, und diese Debatte fordere ich ein. Als Frau, als Mutter, als Mensch. Und während wir diese Debatte führen, fordere ich als Politikerin ein, unsere Frauenhäuser endlich so auszustatten, dass keine Frau mehr abgewiesen werden muss. In Hamburg gehen wir mit einem weiteren Frauenhaus und der Verstärkung der Staatsanwaltschaft einige Schritte in diese Richtung. Doch es werden noch sehr viel mehr werden müssen.

Ein nächster sollte sein, für die Tötung von Frauen endlich eine angemessene Sprache zu finden: Femizid statt Familiendrama.

Neuste Artikel

Wohnen

3. Förderweg bei Sozialwohnungen – Duge: „Wir geben den Menschen damit Sicherheit“

Verfassung

Bürgerschaftswahl 2025 – Zentrale Briefwahlstelle für höhere Wahlbeteiligung

Justiz

Mit neuem Gesamtkonzept – Rot-Grün will Gesundheitsversorgung im Justizvollzug weiter verbessern

Ähnliche Artikel