Ohne Investitionen keine Zukunft – Warum wir eine Schuldenbremse nach unternehmerischen Grundsätzen brauchen

 Von Katharina Fegebank und Dennis Paustian-Döscher

Ein Unternehmen, das nicht in seine Zukunft investiert, hat keine Zukunft. Genauso ist es mit unserem Land. Kluge Investitionen – beispielsweise in das Anlagevermögen einer Firma und deren Finanzierung über langfristige Investitionskredite – sind wesentlicher Bestandteil unternehmerischen Handelns. Was für Unternehmen gilt, sollte auch für den Staat gelten. Aber genau das Gegenteil ist gerade der Fall. Das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat die von der Bundesregierung gewählte Vorgehensweise, finanzielle Mittel für Zukunftsinvestitionen über Sondervermögen bereitzustellen, untersagt. Das ist eine Zäsur. Die Auswirkungen des Urteils treffen die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Hamburg mitten in Zeiten der multiplen Krisen und Umbrüche. Um die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb zukunftsfähig aufzustellen, unseren Wohlstand zu sichern und die Pariser Klimaziele einhalten zu können, sind aber jetzt massive Investitionen notwendig. Die Haushalts- und Finanzpolitik, nicht nur der Ampel-Koalition im Bund, sondern auch vieler Bundesländer, braucht einen Neustart. Diesen Neustart kriegen wir nur hin, wenn wir neben einer Reform der Schuldenbremse unser Steuersystem grundlegend reformieren und den Staat effizienter machen.

Ein überschuldeter Staat ist ein handlungsunfähiger Staat

Eine Begrenzung der Neuaufnahme von Staatsschulden kennt das Grundgesetz bereits seit 1949. Dennoch war es bis 2009 leicht, Schulden zu machen. Und das hat Politik über Jahrzehnte genutzt, um sich Spielräume zu verschaffen. Bis 2009 reichte lediglich eine Feststellung des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts, um von der Schuldenregel abzuweichen. Diese Regel war so weich und biegsam, dass sie keine Bremsfunktion entwickelte und die Schuldenlast massiv anstieg. In der Folge wuchsen in den 1990er Jahren die Zinszahlungen zur drittgrößten Position im Bundeshaushalt an. In diese Zeiten dürfen und wollen wir nicht zurückverfallen. Eine Abschaffung der Schuldenbremse kommt für uns daher nicht in Frage. Trotzdem müssen wir gut zehn Jahre nach Verabschiedung der aktuellen Schuldenbremse im Grundgesetz die Frage stellen, ob sie uns bei den enormen Herausforderungen unserer Zeit hilft oder so sehr schadet, dass Deutschland schleichend, aber unumkehrbar geschwächt wird und international absteigt. Wirtschaftlich und sozial, mit verheerenden Auswirkungen auf die Menschen in unserem Land und ihre Zukunft. Die Antwort lautet ganz klar: Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form hilft weder uns noch nachkommenden Generationen. Sie bedarf daher einer Reform.

Marode Brücken, Straßen und Gebäude sind auch Schulden

Wir haben in den letzten Jahren zwei Arten von Schulden aufgenommen: Geldschulden und die „Schulden der bröckelnden Infrastruktur“. Während die einen Schulden exakt auf die Nachkommastelle im Bundeshaushalt nachzulesen sind, bleibt die „graue Verschuldung“ in Form von maroden Brücken, heruntergekommenen Schulgebäuden und veralteter Forschungslabore zunächst unentdeckt. Im Hinblick auf Generationengerechtigkeit ist das untragbar. Eine Mitschuld hat auch das bisherige System. Im Bund und in den meisten Bundesländern werden Haushalte mit einem bloßen Blick auf Einnahmen und Ausgaben aufgestellt. Das ist aber zu kurzfristig gedacht. Denn wer Straßen, Brücken oder Schwimmbäder verkommen lässt, wird bislang haushaltspolitisch dafür auch noch belohnt, weil er keine neuen Geldschulden aufgenommen hat. Auf diese Weise wurde in den letzten vier Jahrzehnten überall Haushaltspolitik gemacht und der jeweils kommenden Generation eine kaputte Infrastruktur vererbt. Eine „Milchmädchenrechnung“, würde der Volksmund dazu sagen. Dieser Ansatz kommt jetzt für jeden sichtbar an die Grenzen. Deswegen empfiehlt es sich, einen Blick auf den Hamburger Weg zu werfen: wir orientieren unseren Haushalt seit dem Jahr 2013 am Handelsrecht – genau wie Unternehmen. Auch hier wird Sparsamkeit belohnt. Aber: belohnt wird nur der, der sein Anlagevermögen wie Schulgebäude, Häuser der Jugend oder Forschungslabore nicht verkommen lässt und für die Ausgaben der Zukunft Puffer einbaut. Deswegen nehmen wir auch Risiken in den Blick wie künftige Pensionslasten. Wir fordern, dass der Bund dieses Prinzip der doppelten Haushaltsführung auch endlich im Bundeshaushalt einführt. Neben einer Haushaltsführung, die am Handelsrecht orientiert ist, brauchen wir auch eine Schuldenbremse nach diesen unternehmerischen Grundsätzen. Denn sie würde nötige Zukunftsinvestitionen ermöglichen, ohne dass wir mehr Geld leihen, als wir erwirtschaften und zurückzahlen können.

Schuldenbremse nach unternehmerischen Grundsätzen: Nicht mehr Geld leihen als man zurückzahlen kann

Investitionen in Unternehmen sind der Garant für ihre Zukunftsfestigkeit. Und keine kluge Unternehmerin würde nur das investieren, was sie gerade als Cashflow auf dem Konto hat oder ihre Rücklagen komplett für Investitionen aufbrauchen. Eine kluge Unternehmerin leiht sich Geld für ihre Zukunftsvorhaben und sichert die Kredite langfristig ab. Genau so müssen wir es mit unserem Staatshaushalt machen. Wenn wir unsere Spitzenposition halten wollen, müssen wir jetzt mit klugen Investitionen den Sanierungsstau auf allen Ebenen energisch bekämpfen und die Transformation der Wirtschaft für eine klimaneutrale Industrie forcieren, die bereits jetzt die Weichen für die Wettbewerbsvorteile der Zukunft stellt. Das sichert gesellschaftlichen Zusammenhalt, Wohlstand und somit auch künftige Steuereinnahmen. Neben einer Ehrlichkeit im Hinblick auf den Zustand und Wert des „Anlagevermögens“ unseres Staates und der Einführung einer doppelten Haushaltsführung sollten wir – gemessen an unserer Wirtschaftsleistung – mehr Spielraum bei der Neuverschuldungsgrenze schaffen. Zurzeit liegt sie bei 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Bund und sogar einer null Prozent-Grenze in den Bundesländern. Ziel ist es, dass sich diese Grenze in Zukunft daran ausrichtet, wieviel wir in der Lage sind zu schultern. Ohne dass es wieder dazu kommt, dass alleine die Zinslast zum drittgrößten Ausgabenpunkt des Bundesetats wird. Wir müssen die Obergrenze an der Tragfähigkeit der Schulden ausrichten. Also an der Zinserwartung auf unsere Schulden, dem langfristigen Wirtschaftswachstum, dem Steuer- und Ausgabenniveau und zukünftiger Haushaltspläne. Das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftskraft gibt mehr Aufschluss darüber, ob wir unsere Schulden in Zukunft bedienen können, als der absolute Schuldenstand. Durch solch eine Grenze kann der Staat antizyklisch in der Krise investieren ohne einen Notfall zu erfinden oder rechtswidrige Sondervermögen zu schaffen. Damit schafft man mehr Flexibilität und stabilisiert gleichzeitig die Schuldenbremse indem man sie nur noch bei echten Katastrophen aussetzen muss. So würden wir es schaffen, die Wirksamkeit der Schuldenbremse zu verbessern, gleichzeitig die dringend notwendige Flexibilität für Investitionen in Krisenzeiten zu bewahren und dabei den Kurs der soliden Haushaltspolitik fortzusetzen. Eine Gute Diskussionsbasis ist der Vorschlag des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), der eine Anhebung der Obergrenze von 0,35 Prozent auf 1,5 Prozent vorsieht und dadurch eine zusätzliche Verschuldung von rund 47 Milliarden Euro pro Jahr ermöglichen würde.

Vor der eigenen Haustür kehren: Sagen, was der Staat nicht mehr macht

All das wird aber nicht reichen. Wir werden nur dann insgesamt zukunftsfähiger, wenn wir auch vor unserer eigenen Haustür kehren. Und wir müssen selbstkritisch feststellen, dass Politik selbst immer wieder dafür sorgt, dass der Staat noch mehr Aufgaben bekommt. Wir haben in der Vergangenheit zu selten darauf geschaut, ob Aufgaben auch noch zeitgemäß sind oder ob sich Doppelstrukturen gebildet haben. So kann es nicht weitergehen. Wir müssen daher unsere Regelwerke und Verwaltungsabläufe modernisieren und auf den Prüfstand stellen. Wir brauchen eine verpflichtende Überprüfung für beschlossene Leistungen. Das hilft der Politik, sich permanent kritisch zu hinterfragen, entlastet die Verwaltung, die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Und am Ende auch die Haushalte. Auf der Ausgabenseite ist eine klare Prioritätensetzung notwendig. Nicht alles, was wünschenswert ist, wird finanzierbar sein. An dieser Maxime orientiert sich auch unsere Haushaltspolitik in Hamburg. Für uns ist aber auch ganz klar: die Forderungen nach einem Kahlschlag der sozialen Sicherungssysteme ist mit uns nicht zu machen. Keine Haushaltskonsolidierung auf dem Rücken von Einkommensschwachen und armutsgefährdeten Kindern! Weiterhin müssen wir in den Haushalten die Räume schaffen, den Anteil für Wissenschaft, Forschung und Innovationen spürbar zu verbessern. Mit diesem Mix haben wir auch hier eine gute Chance, die Haushalte strukturell zu konsolidieren ohne die Zukunftsaufgaben zu vernachlässigen.

Mit einer Steuerreform auf Umbrüche reagieren und Einnahmen verbessern

Neben einem effizienteren Staat brauchen wir aber auch ein anderes Steuersystem. Die Steuerpolitik ist seit 2005 davon geprägt, dass sich die jeweiligen Koalitionen nicht mehr auf grundlegende Strukturreformen einigen konnten Das rächt sich nunmehr. Denn so ist unser Steuersystem nicht ausreichend auf Bereiche wie Klimaschutz und Digitalisierung vorbereitet. Wir müssen davon wegkommen, immer nur kleine Einzelmaßnahmen zu diskutieren. Es ist Zeit für eine große Steuerreform, welche die Belastungen gerecht miteinander austariert. Einnahmeverbesserungen dürfen anders als in den letzten 18 Jahren kein Tabu mehr sein. Es ist richtig, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Aber wir müssen auch klar machen: Steuerentlastungen für jeden kann es nicht mehr geben. Der Ausgleich der kalten Progression, die erst richtig bei Jahresgehältern über 100.000 € greift, war ein Fehler. Auch bei der Besteuerung von besonders großen Erbschaften haben wir einen Nachholbedarf: es ist nicht weiter tragbar, dass beispielsweise Firmenanteile im Wert von einer Milliarde Euro komplett steuerfrei vererbt werden können. Wir brauchen auch in der Steuerpolitik einen neuen Generationenvertrag, der die Lasten neu aufteilt. Kurzfristig erwarten wir zudem von der Bundesregierung den Abbau von klimaschädlichen Subventionen, wie im Ampel-Koalitionsvertrag festgehalten.

Zukunftsfähig sein, heißt mutig sein

Ein Staat muss seine Zukunftsfähigkeit, genau wie jedes Unternehmen, fest im Blick haben und sein Handeln daran ausrichten. Zu lange haben wir in Deutschland vom Status Quo gelebt. Von Erfindungen, die vor langer Zeit in unserem Land gemacht wurden. Von einer Wirtschaftskraft die sich auf Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Bürgerinnen und Bürger stützt, die schon vor rund zwei Jahrhunderten unseren heutigen Wohlstand begründeten. Und uns verlassen auf eine Wirtschaftsweise, die unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir brauchen eine neue, klimaneutrale industrielle und digitale Revolution. Dazu gehören auch massive Investitionen in Forschung und Entwicklung, konkret in unsere Forschungsinfrastrukturen. Und in die Transformation von Unternehmen, die diesen Wandel umsetzen. Ohne eine Reform der Schuldenbremse, einen effizienteren Staat und eine grundlegende Steuerreform wird uns das nicht gelingen. Zukunftsfähig zu sein, heißt mutig zu sein. Deshalb gilt es nun, die notwendigen Schritte anzugehen.