Die wissenschaftliche Aufarbeitung des NSU-Komplexes in Hamburg beginnt!
Am 27. Juni 2001 wurde Süleyman Taşköprü im Geschäft seines Vaters in Hamburg-Altona erschossen. Er war das dritte Opfer der neonazistischen terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordet sowie 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt hat.
Obwohl der NSU-Komplex auf Bundes- und Landesebene in zahlreichen Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und in Hamburg durch das Parlamentarische Kontrollgremium und den Innenausschuss der Bürgerschaft aufgearbeitet wurde, stellen sich nach wie vor Fragen:
- Warum wurde Süleyman Taşköprü zum Opfer des NSU?
- Wie kam es zur Fehleinschätzung, den Mord an Süleyman Taşköprü als organisierte Kriminalität einzustufen?
- Welche Auswirkungen hatte diese Fehleinschätzung auf die Familie Taşköprü und die migrantische Gemeinschaft?
Eine wissenschaftliche Studie soll diese und viele weitere Fragen rund um den rechtsextremen Terror in Hamburg nun beantworten. Das hat die Hamburgische Bürgerschaft auf Initiative der rot-grünen Regierungsfraktionen am 13. April 2023 beschlossen. Begleitet wird die Studie von einem parlamentarischen Beirat, der sich Anfang 2025 einstimmig für das Konzept eines Wissenschaftsteams der Ruhr-Universität Bochum ausgesprochen und dieses mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt hat.
Das Konzept sieht vor, dass der NSU-Komplex in Hamburg interdisziplinär untersucht wird. Hierbei sollen neben juristischen und kriminologischen Methoden auch qualitative sozialwissenschaftliche Interviews – insbesondere auch mit Zeitzeug*innen aus der betroffenen Community – und Analysen der politischen Strukturen in Hamburg helfen, die Ereignisse zu rekonstruieren. Ein besonderer Fokus soll dabei auf den systemischen Aspekten liegen, die zur Herausbildung und Verstetigung der falschen und irreführenden Ermittlungshypothesen („OK-Hypothese“, „Einzeltäter-Narrativ“ usw.) geführt haben. Die Forschungsarbeit wird ca. 3 Jahre dauern und mit einem unabhängigen, umfassenden Gutachten enden. Das Wissenschaftsteam erhält dafür Zugang zu Unterlagen zu den NSU-Ermittlungen von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz.
Als Grüne Fraktion setzen wir uns seit langem für die Aufarbeitung des NSU-Komplexes ein. Dabei war ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) immer unser bevorzugtes Aufklärungsinstrument. Mit unserem Koalitionspartner SPD konnten wir uns jedoch nicht auf einen PUA einigen, den parlamentarischen Beirat und die wissenschaftliche Studie konnten wir aber erfolgreich auf den Weg bringen. Von dieser Untersuchung erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse über rechtsextreme Netzwerke in Hamburg. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, im Kampf gegen Rechtsextremismus wachsam zu bleiben und Verbrechen wie die des NSU lückenlos und öffentlich aufzuarbeiten.
Das Wissenschaftsteam & der Ausschreibungsprozess
Das interdisziplinär aufgestellte Wissenschaftsteam besteht aus:
- Prof. Constantin Goschler (Ruhr-Universität Bochum), Professor für Zeitgeschichte
- Prof. Daniela Hunold (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin), Expertin für Polizeisoziologie
- Prof. Charlotte Schmitt-Leonardy (Universität Bielefeld), Expertin für Strafverfahrensrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung
- Prof. Wolfgang Seibel (Universität Konstanz), Experte bei der Untersuchung von schwerem Verwaltungsversagen
Des Weiteren wird das Team zeitnah durch drei weitere wissenschaftliche Mitarbeiter*innen verstärkt.
Die Auswahl des Wissenschaftsteams ist das Ergebnis eines sorgfältigen europaweiten Auswahlverfahrens, in dessen Zuge der Beirat durch Vertreter*innen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg sowie das Hamburger Institut für Sozialforschung beraten wurde. Die Kosten des Untersuchungsauftrags werden sich voraussichtlich auf 900.000 Euro belaufen.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung wird von einem Beirat aus Mitgliedern der Hamburgischen Bürgerschaft begleitet, der die Zwischenberichte und das Endergebnis der Aufarbeitung berät und darüber berichtet. Er kann auch Ergänzungen oder Anpassungen des Untersuchungsauftrages vorschlagen.
In der 22. Wahlperiode bestand der Beirat Kazim Abaci, Isabella Vértes-Schütter und Güngör Yilmaz (SPD), Sina Koriath und Sina Imhof (Grüne), Anke Frieling und Dennis Gladiator (CDU), Deniz Celik (Linke) sowie als sowie als Vertretung Michael Gwosdz (Grüne) und Iftikhar Malik (SPD). Die AfD hat in der 22. Wahlperiode kein Mitglied benannt.
Die Mitglieder des Beirats für die 23. Wahlperiode werden nach Abschluss der Regierungsbildung benannt.
Der Beirat tagt grundsätzlich öffentlich. Er ist bisher fünf Mal zusammengekommen: 25.09.23, 12.12.23, 13.04.24, 18.04.24., 14.02.25. Zukünftige Termine werden nach deren Festsetzung in der Terminübersicht der Bürgerschaft bekanntgegeben.
Drucksachen & Pressemitteilungen
Weitere Einzelheiten können den folgenden Drucksachen und Pressemeldungen entnommen werden:
- Pressemeldung der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (06.04.23): Löschmoratorium für Akten- und Datenbestände – Wichtige NSU-Akten bleiben erhalten.
- Pressemeldung der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (12.04.23): NSU-Komplex in Hamburg – Rot-Grün initiiert wissenschaftliche Aufarbeitung
- Antrag der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (Drs. 22/11561): Aufarbeitung des NSU-Komplexes im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie sowie dauerhafte Sicherung aller Unterlagen aus Hamburg.
- Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Drs. 22/11825): Offene Fragen im Zusammenhang mit dem Mord an Süleyman Taşköprü und dem NSU-Komplex in Hamburg.
- Große Anfrage der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (Drs. 22/11841): NSU-Komplex und rechte Netzwerke in Hamburg – Verbindungen von Hamburg zum NSU.
- Pressemeldung der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (11.06.23): Senatsantworten zum NSU-Komplex – Gute Basis für weitergehende wissenschaftliche Erforschung.
- Antrag der SPD- und GRÜNEN-Fraktion (Drs. 22/16857): Vergabe des Auftrags zu einer wissenschaftlichen Studie: Aufarbeitung des NSU-Komplexes im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie.
- Pressemeldung der GRÜNEN-Fraktion (14.02.25): NSU-Forschungsstudie startet – Imhof: „Gerade jetzt müssen wir an die Wurzeln des Rechtsextremismus gehen“.
- Pressemeldung der Bürgerschaftskanzlei (14.02.25): NSU-Komplex: Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung.