SPD und Grüne bedauern die Folgen des sogenannten Radikalenerlasses von 1972 für Hamburg und setzen sich dafür ein, die Auswirkungen historisch zu untersuchen. Im Rahmen des Erlasses kam es bundesweit zu circa 11.000 offiziellen Berufsverbots- und 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen sowie 265 Entlassungen. Der Radikalenerlass diente auch in Hamburg zur Überprüfung der „politischen Zuverlässigkeit“ von Bewerberinnen und Bewerbern sowie Angestellten des Öffentlichen Dienstes. Die entsprechende Richtlinie zur Umsetzung wurde 1979 auf Betreiben des Ersten Bürgermeisters Hans Ulrich Klose wieder aufgehoben. Die Regierungsfraktionen wollen die Geschehnisse in Hamburg aufgearbeitet wissen und bringen einen entsprechenden Antrag in die nächste Bürgerschaftssitzung ein.
Dazu Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Dieser Antrag ist ein Beitrag zur überfälligen Aufarbeitung der Schicksale all jener Menschen, die von Berufsverboten betroffen waren. Und er dient ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung. Der Radikalenerlass war eine Verletzung wichtiger Grundrechte und hat das Klima der politischen Auseinandersetzung in Hamburg über Jahre belastet. In der damaligen Bundesrepublik kam es zu rund 11.000 offiziellen Berufsverboten, 2.200 Diziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Dabei reichte als Begründung häufig schon, dass jemand für ein politisches Amt bei einer ins Visier genommenen Partei kandidierte oder Flugblätter verteilte. Hamburg hat als erstes Bundesland schon vor 1972 Berufsverbote erteilt und Unrecht und Leid über die Betroffenen gebracht. Viele Betroffene von damals sind heute noch politisch aktiv und setzen sich trotz aller erfahrenen Widerstände für ihre Überzeugungen ein. Dafür gebührt ihnen Respekt und Anerkennung. Mit diesem Antrag in der Bürgerschaft wollen wir unser Bedauern über das Geschehene ausdrücken und fordern den Senat zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Berufsverbote auf.“
Dazu Urs Tabbert, Fachsprecher Justiz und Datenschutz der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Auch wenn wir den besonderen historischen Kontext – die Zeit des R.A.F.-Terrors in den 1970er-Jahren – berücksichtigen, müssen wir heute sagen, dass die Umsetzung des Radikalenerlasses in vielen Fällen ein schwerwiegender und oft nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen war. Heute wissen wir, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger durch den Erlass in ihrer persönlichen Lebensführung und -planung stark eingeschränkt wurden. Deshalb ist es höchste Zeit, sich mit dem Erlass und seinen Folgen historisch auseinanderzusetzen. Der Erlass stellt ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Hamburgs dar. Deshalb müssen wir die Fehler der Vergangenheit – wie es Niedersachsen beispielsweise bereits vorgemacht hat – aufarbeiten und die Ergebnisse der Untersuchung der Öffentlichkeit zugänglich machen.“
Hintergrund:
In den 1970er-Jahren war die Bundesrepublik Deutschland dem linksextremistischen Terror der R.A.F. ausgesetzt. Die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen unter anderem in Folge dieser Entwicklungen im Januar 1972 den sogenannten Radikalenerlass, der darauf zielte, Menschen mit links- oder rechtsextremistischen Einstellungen vom Staatsdienst fernzuhalten. In der Praxis betraf der Erlass vor allem politisch Aktive des linken Spektrums. Die Folge waren sogenannte verdachtsunabhängige Regelanfragen beim Verfassungsschutz, deren Ergebnisse für viele der Betroffenen zu faktischen Berufsverboten führten. Menschen wurden allein aufgrund ihrer Teilnahme an Demonstrationen, der Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen oder der Kandidatur bei Wahlen vom Öffentlichen Dienst ausgeschlossen, ohne dass es zu dienstlichen Verfehlungen gekommen war. Unter dem Ersten Bürgermeister Hans-Ulrich Klose, der sich bundesweit dafür einsetzte nur noch bei konkreten Verdachtsmomenten Überprüfungen vorzunehmen, setzte bereits 1979 eine Abkehr vom Beschluss ein. Die Richtlinie zur Umsetzung des Erlasses wurde in Hamburg daraufhin 1979 aufgehoben
Neuste Artikel
Sonderparteitag an der Elbe: GRÜNE Hamburg beschließen Koalitionsvertrag mit der SPD
Die Hamburger GRÜNEN haben bei ihrer Sonder-Landesmitgliederversammlung am Montagabend im Alten Fährterminal Altona dem rot-grünen Koalitionsvertrag und vorgeschlagenen Personaltableau zugestimmt. Ein entsprechender Antrag des Landesvorstands wurde mit großer Mehrheit angenommen. Dem künftigen Hamburger Senat werden diese grünen Senator*innen angehören: Katharina Fegebank (Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft), Maryam Blumenthal (Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung), Anna Gallina (Justiz…
Fraktionsvorstand
De Vries wird Staatssekretär – Imhof: „Das ist eine irritierende Entscheidung von Friedrich Merz“
Die CDU hat heute ihre Personalentscheidungen für die neue Bundesregierung vorgestellt. Dass ausgerechnet der Hamburger Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium wird, ist aus Sicht der Grünen Fraktion Hamburg ein schlechtes Signal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. De Vries, der in der Vergangenheit immer wieder durch rechtspopulistische Rhetorik und abwertende Aussagen…
Medien
Meinungsvielfalt schützen – Rot-Grün setzt sich für moderne Medienregeln ein
Medienvielfalt ist ein wichtiger Pfeiler für eine lebendige und stabile Demokratie. Mit einem gemeinsamen Antrag setzen sich die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen daher für eine tiefgreifende Reform des Medienkonzentrationsrechts innerhalb der aktuellen Vertrags- und Rechtslage ein. Ziel ist es, die crossmediale Markmacht einzelner Konzerne zukünftig zu messen und zu bewerten. Damit wird die demokratische…
Ähnliche Artikel
Innenpolitik
Neues DLRG-Rettungsboot – Rot-Grün fördert nachhaltige Sicherheit auf der Alster
Um die Alster als Natur- und Erholungsraum zu schützen, ist der Einsatz klimafreundlicher Technologien unverzichtbar. Zugleich muss die Sicherheit auf dem Wasser weiter uneingeschränkt gewährleistet sein. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen unterstützen daher die DLRG Wandsbek bei der Anschaffung eines emissionsfreien Elektro-Motorrettungsbootes für den Einsatz auf der Alster mit 83.000 Euro aus dem Sanierungsfonds…
Innenpolitik
NSU-Forschungsstudie startet – Imhof: „Gerade jetzt müssen wir an die Wurzeln des Rechtsextremismus gehen“
Heute stellt die Hamburgische Bürgerschaft gemeinsam mit einer interdisziplinären Forschungsgruppe die nächsten Schritte zur Erforschung des NSU-Komplexes in Hamburg vor. Im Zentrum der Studie stehen unter anderem die damaligen Ermittlungsansätze, Handeln und Kommunikation der zuständigen Institutionen, aber auch die Erforschung der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich der rechtsextreme Terror vollzog. Die groß angelegte Studie geht…
Innenpolitik
Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 – Imhof: „Hamburg darf nicht nur auf Law-&-Order-Politik setzen“
Die Hamburger Polizei hat am heutigen Donnerstag die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 (PKS) vorgestellt. Die Gesamtzahl der Straftaten ist um vier Prozent gesunken und setzt damit den Trend der Vor-Corona-Jahre fort. Die Wahrscheinlichkeit, in Hamburg Opfer einer Straftat zu werden, sinkt. Gleichzeitig bestehen weiterhin Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität, die sich jedoch auf…